Das Wohlbefinden Autoren-Interview

Das Wohlbefinden Autoren-Interview

 

 

 

 

Gestern habe ich Euch das Buch Das Wohlbefinden von Ulla Lenze vorgestellt. Sicherlich ist euch aufgefallen, dass mich das Buch sehr berührt und einen starken Eindruck hinterlassen hat.

Umso stolzer bin ich, dass ich vom Klett-Cotta Verlag die Möglichkeit bekam einige Fragen an die Autorin Ulla Lenze stellen durfte.

Ich hatte das Vergnügen Ihr Buch „Das Wohlbefinden“ schon lesen zu dürfen. Es hat mich fasziniert
und ja, es kam ein gewisses Wohlbefinden auf. Genauso wie ihre Protagonistin Johanna Schellmann
wurde ich von Anna Brenner eingenommen. Das Mysteriöse an Anna hat noch lange nachgeklungen
und ich habe mich immer wieder gefragt, war Anna sich bewusst in ihren Taten. Welche Folgen
mögen wohl diese Experimente in München auf sie gehabt haben. Konnte oder wollte Johanna sich
nicht aus der Verbindung mit ihr entziehen.
Spannend empfand ich das in die Gegenwart holen der Geschichte durch Vanessa, der Urenkelin
von Johanna. Dies ergab sich für mich, als einen Schlüsselpunkt besonders als sie mit dem Makler
nach Beelitz fuhr um sich dort einzumieten. Es war sehr klug gesetzt, dass es offen bleibt, ob sie
wirklich auf das umgestaltete Gelände der Heilstätten ziehen wird und ob sich mit dem Makler
etwas ergibt.

 

Würden Sie sich einmal kurz vorstellen?

Ich heiße Ulla Lenze, geboren 1973 in Mönchengladbach, und bin Romanautorin. Mein aktuelles Werk „Das Wohlbefinden“ ist mein sechster Roman. Nach meinem Studium der Musik und Philosophie auf Lehramt in Köln lebte ich von 2009 bis 2011 in Mumbai und Istanbul. 2011 zog ich nach Berlin, wo ich zehn Jahre blieb und viele internationale Lesereisen unternahm – von Australien über Indonesien, Irak, Iran, Indien bis zu den USA. Mein fünfter Roman „Der Empfänger“ wurde mein internationaler Durchbruch und in 12 Sprachen übersetzt. Seit 2021 lebe ich im malerischen Buckow in der Märkischen Schweiz, 50 km östlich von Berlin, wo ich mich glücklich und angekommen fühle. 2023 hatte ich die wunderbare Gelegenheit, in Dartmouth (USA) eine Gastprofessur anzunehmen.

Was hat Sie zu dieser Art von Geschichte der Beelitzer Heilstätten zu schreiben?

Mein erster Besuch in den Beelitzer Heilstätten 2020 war eine Offenbarung. Hier entdeckte ich einen ‚Zauberberg der Proletarier‘ – eine soziale Utopie von vor 120 Jahren. Tuberkulosekranke Arbeiter aus Berlin, die Schwächsten der Gesellschaft, wurden hier wie Privatpatienten behandelt.
In einer Zeit ohne wirksame Medikamente gegen Tuberkulose wurde das Wohlbefinden zur Therapie erhoben. Die Architektur, die weitläufigen Gärten, die gesamte Anlage – alles war darauf ausgerichtet, Heilung durch Wohlbefinden zu fördern. Es war Wellness avant la lettre.
Diese Geschichte faszinierte mich, weil sie einen Kontrast zu unserer heutigen Zeit bildet. Damals ein ‚Überschuss an Fürsorge‘, heute ein schleichender Abbau von Sozialleistungen. Das musste ich einfach in einem Roman verarbeiten.

Gibt es eine persönliche Verbindung zu Beelitz?

Meine Verbindung zu Beelitz ist eher indirekt, aber nicht weniger bedeutsam. Während des Schreibprozesses erinnerte ich mich plötzlich an die Erzählungen meines Vaters. Er erkrankte um 1948, als Abiturient, an Tuberkulose und verbrachte viele Jahre in Lungenheilstätten. Ich bedauere, dass ich meinem Vater, der schon 2007 gestorben ist, nicht mehr die vielen Fragen stellen kann, die sich mir nun aufdrängen. Diese Erinnerung eröffnete mir jedenfalls eine neue Perspektive auf mein Projekt. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich durch meinen Roman nicht nur eine historische Epoche erforschte, sondern auch unbewusst versuchte, mich in die Lebenssituation meines Vaters einzufühlen.
Tuberkulose war damals eine gefürchtete, hochansteckende Krankheit, die lange Quarantänezeiten erforderte – eine Erfahrung, die in unserer heutigen Zeit wieder schmerzlich aktuell geworden ist..

Wie viel Wahrheit steckt in „Das Wohlbefinden“?

Die Handlung von ‚Das Wohlbefinden‘ ist größtenteils fiktiv, aber auf einem soliden Fundament historischer Recherche aufgebaut. Meine Quellen waren vor allem Romane aus der betreffenden Epoche – sie boten mir nicht nur Fakten, sondern auch die Atmosphäre und den Zeitgeist, die ich einfach in einem Roman verarbeiten.

Gibt es eine persönliche Verbindung zu Beelitz?

Meine Verbindung zu Beelitz ist eher indirekt, aber nicht weniger bedeutsam. Während des Schreibprozesses erinnerte ich mich plötzlich an die Erzählungen meines Vaters. Er erkrankte um 1948, als Abiturient, an Tuberkulose und verbrachte viele Jahre in Lungenheilstätten. Ich bedauere, dass ich meinem Vater, der schon 2007 gestorben ist, nicht mehr die vielen Fragen stellen kann, die sich mir nun aufdrängen. Diese Erinnerung eröffnete mir jedenfalls eine neue Perspektive auf mein Projekt. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich durch meinen Roman nicht nur eine historische Epoche erforschte, sondern auch unbewusst versuchte, mich in die Lebenssituation meines Vaters einzufühlen.
Tuberkulose war damals eine gefürchtete, hochansteckende Krankheit, die lange Quarantänezeiten erforderte – eine Erfahrung, die in unserer heutigen Zeit wieder schmerzlich aktuell geworden ist..

 

Wie viel Wahrheit steckt in „Das Wohlbefinden“?

Die Handlung von ‚Das Wohlbefinden‘ ist größtenteils fiktiv, aber auf einem soliden Fundament historischer Recherche aufgebaut. Meine Quellen waren vor allem Romane aus der betreffenden Epoche – sie boten mir nicht nur Fakten, sondern auch die Atmosphäre und den Zeitgeist, die ich einfangen wollte.
Zwei historische Persönlichkeiten haben mich besonders inspiriert: Anna Rothe, das ‚Blumenmedium‘, deren spektakulären Manifestationen von Blumen und Zitrusfrüchten in den Séancen ihr eine große Anhängerschaft verschafften, bis sie wegen Betrugs ins Gefängnis kam. Zweitens: Gabriele Reuter, einst ein Literaturstar des Kaiserreichs, deren Roman ‚Aus guter Familie‘ der erste Bestseller des S. Fischer Verlags war. Ihr heutiges Vergessensein – trotz einer aktuellen Neuauflage bei Reclam – wirft Fragen nach der Vergänglichkeit von Ruhm und der Definition von Bedeutsamkeit auf.
Reuter inspirierte meine fiktive Figur Johanna Schellmann, deren verzweifelter Kampf gegen das Vergessenwerden ein weiteres Thema des Romans ist.

Welche Botschaft wollen Sie mit dem Buch hinterlassen?

Mein Roman ist weniger Botschaft als eine Art Prisma, durch das ich verschiedene Themen betrachte. Über einen Zeitraum von 120 Jahren hinweg untersuche ich die Entwicklung und Wandlung von Konzepten wie Feminismus, Heilung, Gesundheit und Spiritualität.
Der Okkultismus des frühen 20. Jahrhunderts fasziniert mich als ein Phänomen, das die Lücke füllte, die der Autoritätsverlust der Kirche hinterließ. Er war besonders in Künstlerkreisen populär, und im bürgerlichen Milieu eine Art Freizeitvergnügen. Mit dem Zerfall des klassischen Materiebegriffs durch Telegrafie und die Entdeckung von Röntgenstrahlen hielten damals auch einige Wissenschaftler es für möglich, die Grenze zu den Geistern überschreiten zu können…
Interessant ist für mich der Wandel dieser Phänomene: Wo man früher die Wirklichkeit ‚transzendieren‘ wollte, versuchen wir heute, sie mithilfe von Achtsamkeits- und Meditationsapps zu ertragen. Es ist schon verrückt, dass selbst Krankenkassen diese ursprünglich okkulten Techniken zur Stressreduktion empfehlen. Ein zentraler Gedanke des Romans kreist daher um das Konzept des Wohlbefindens: Sollte es nicht – auch heute – ein intrinsischer Wert sein, statt nur ein Mittel zur Wiederherstellung unserer Funktionsfähigkeit?

Welche Folgen mögen wohl diese Experimente in München auf Anna gehabt haben?

Bisher schien Anna ihre medialen Gaben ohne Hintergedanken auszuüben. Doch nun findet sie sich in einer Welt wieder, in der der Okkultismus im Labor Schrenck-Notzings systematisch und vor den Augen einer illustren Gesellschaft erforscht wird. In diesem Umfeld von applaudierenden Adeligen und neugierigen Wissenschaftlern dürfte Anna nicht nur die Tragweite ihrer Fähigkeiten erkannt haben, sondern auch die damit verbundenen Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs.

Konnte oder wollte Johanna sich nicht aus der Verbindung mit ihr entziehen?

Es ist tatsächlich eine Mischung aus beidem – Johanna konnte und wollte sich nicht lösen. Mir war es wichtig, eine Beziehung zu zeigen, in der sich zwei Menschen gegenseitig verstricken. Es ist eine Art toxische Dynamik, bei der man kaum sagen kann, wer eigentlich ’schuld‘ ist.
Johanna projiziert unglaublich viel auf Anna. All ihre Hoffnungen und Erwartungen legt sie in diese Beziehung. Anna wiederum nährt diese Hoffnungen, weil sie Johannas Gunst nicht verlieren will. Es ist eine komplexe, fast symbiotische Beziehung, in der beide Seiten sowohl Täter als auch Opfer sind. Diese Art von Verstrickung interessiert mich als Autorin. Man sieht, wie kompliziert zwischenmenschliche Beziehungen sein können.